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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 06.10.2004
Aktenzeichen: 9 U 47/04
Rechtsgebiete: HWiG


Vorschriften:

HWiG § 1
1. Zwar sieht § 1 I HWiG einen zeitlichen Zusammenhang zwischen mündlichen Verhandlungen und der Abgabe der Willenserklärung nicht vor; erforderlich ist aber, dass die abgegebene Erklärung ursächlich auf der Überrumpelung in der Wohnung beruht. Ein solcher Kausalzusammenhang kann nach den Grundsätzen des ersten Anscheins nicht angenommen werden, wenn zwischen dem Gespräch und der Erklärung ein längerer Zeitraum liegt. In diesem Fall sind vielmehr konkretere Darlegungen zur Fortdauer der Überrumpelung erforderlich.

2. Ein großer zeitlicher Abstand (hier zwei Jahre) zwischen dem Gespräch am Arbeitsplatz und den Abschluss des Vertrages verschafft dem Verbraucher ausreichend Gelegenheit, über letzteren eine eigenständige, unbeeinflusste Entscheidung zu treffen.


OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

9 U 47/04

Entscheidung vom 06.10.2004

In dem Rechtsstreit

...

Tenor:

weist der Senat darauf hin, dass beabsichtigt ist, die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

Gründe:

Die Berufung ist zwar zulässig, insbesondere an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, hat in der Sache indes keine Aussicht auf Erfolg. Sie hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts (§ 522 II ZPO).

Die Kläger schlossen am 4.10.1993 einen Bauträgervertrag über die Errichtung von zwei Doppelhaushälften ab. Dem waren Gespräche des Klägers zu 1), der als Bauleiter beim Bauträger beschäftigt ist, an seinem Arbeitsplatz vorausgegangen. Mit Vertrag vom 5.5.1994 erwarben sie das Grundstück. Am 31.6.1995 unterzeichneten sie zur Finanzierung dieses Vorhabens zwei Darlehensverträge mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten über 540.000,- und 320.000,- DM. Die Darlehen wurden über eine Grundschuld abgesichert und gegen die Abtretung der Rechte aus zwei Lebensversicherungen tilgungsfrei gestellt. Die Kläger haben die Darlehensverträge am 14.4.2003 nach dem Haustürwiderrufsgesetz widerrufen und begehren Freigabe der beiden Lebensversicherungsverträge.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger gegen dieses Urteil hat keine Aussicht auf Erfolg.

Die Frage, ob das Landgericht Frankfurt a.M. nach der Verweisung des LG Dessau zuständig war oder nicht, kann mit der Berufung nicht überprüft werden (§ 513 Abs. 2 ZPO).

Dahin stehen kann zunächst, ob das Landgericht - wie von den Klägern behauptet - in der mündlichen Verhandlung tatsächlich erklärt hat, es bedürfe einer Beweisaufnahme zur Haustürsituation. Von den Klägern nicht vorgetragen und nicht ersichtlich ist, inwieweit dieser Verfahrensfehler zur Unrichtigkeit des Urteils geführt haben soll (§ 513 Abs. 1 ZPO).

Unerheblich sind auch die von den Klägern gerügten Mängel im Sachverhalt. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, die mit der Berufung vorgetragenen Umstände könnten Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der landgerichtlichen Feststellungen begründen, ist nicht ersichtlich, inwieweit die aus der Sicht der Kläger vorzunehmenden Richtigstellungen erheblich sein sollen.

Dies gilt auch für die mit der Berufung neu vorgetragenen Tatsachen. Selbst wenn man zugunsten der Kläger davon ausgeht, dass die behauptete Verletzung der materiellen Prozessleitungspflicht (§ 139 ZPO) durch das erstinstanzliche Gericht die Möglichkeit solch neuen Vortrags eröffnet (§ 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), ist nicht ersichtlich, inwieweit dieser neue Sachverhalt entscheidungserheblich sein soll.

Die Rüge, das Landgericht habe eine Rechtsverletzung begangen, indem es die Voraussetzungen eines Widerrufsrechts nach § 1 HTWG zu Unrecht abgelehnt habe, greift nicht durch. Die Kläger können den Widerruf der Darlehensverträge nicht auf die fast zwei Jahre zuvor geführten Gespräche am Arbeitsplatz des Klägers zu 1) stützen. Zwar sieht § 1 I HTWG einen zeitlichen Zusammenhang zwischen den mündlichen Verhandlungen und der Abgabe der Willenserklärung nicht vor, erforderlich ist aber, dass die abgegebene Erklärung ursächlich auf der Überrumpelung in der Wohnung beruht. Ein solcher Kausalzusammenhang ist vorliegend nicht erkennbar. Er kann nach den Grundsätzen des ersten Anscheins regelmäßig ohne nähere Darlegung angenommen werden, wenn zwischen dem Gespräch und der Abgabe der Erklärung ein nur kurzer, maximal wenige Tage betragender Zeitraum liegt. Ist dieser Zeitraum - wie hier - deutlich länger, bedarf die Kausaliät der Überrumpelung konkreter Darlegung im Einzelfall (Staudinger, BGB, § 1 HTWG Rnr. 71 m.w.N.), an denen es vorliegend fehlt. Der große zeitliche Abstand zwischen dem Gespräch am Arbeitsplatz über den Bauträgervertrag und dem Abschluss des Darlehensvertrags verschaffte den Klägern ausreichend Gelegenheit, über letzteren eine eigenständige, unbeeinflusste Entscheidung zu treffen. Warum die durch den früheren Gespräche möglicherweise eingeschränkte Entschließungsfreiheit auch noch zwei Jahre später fortgedauert haben soll, ist nicht ersichtlich. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (zuletzt Urteil vom 21.10.2003 - 9 U 121/01 - NJW -RR 2004, 60, bestätigt durch Beschluss des BGH vom 14.9.2004 - XI ZR 365/03).

Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich nicht daraus, dass der Kläger zu 1) der Person, von der die Beeinflussung bei dem Gespräch am Arbeitsplatz ausgegangen war, in der Zeit bis zum Abschluss der Darlehensverträge ständig wieder begegnete. Die Kläger behaupten selbst nicht, dass bei diesen Begegnungen über die Angelegenheit gesprochen worden wäre. Die bloße Begegnung allein aber kann eine Fortdauer der Beeinflussung nicht begründen.

Auf die Frage, ob sich etwas anderes aus dem Gesichtspunkt des verbundenen Geschäfts ergeben könnte, kommt es vorliegend nicht an, da die die Voraussetzungen dieser Rechtsfigur nicht vorliegen. Eine wirtschaftliche Einheit kann schon wegen des zeitlichen Abstands zwischen Bauträger-, Kauf- und Darlehensverträgen nicht angenommen werden. Hinzu kommt, dass der (für Verbraucherkreditfragen zuständige) XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in ständiger Rechtsprechung die Verbundenheit von Immobiliar- und Darlehensverträgen ablehnt, weil auch dem rechtlich unerfahrenen Kreditnehmer klar sein muss, dass es sich insoweit um zwei gesonderte Rechtsverhältnisse handelt (BGH ZIP 2003, 432). Dem folgt der erkennende Senat.

Mangels verbundenem Geschäft dürfte auch die den Klägern erteilte Widerrufsbelehrung wirksam gewesen sein, so dass der Widerruf verfristet war.

Die Kläger können die Freigabe der Lebensversicherungen auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes verlangen. Die Verletzung einer der Rechtsvorgängerin der Beklagten bei Vertragsschluss obliegenden Pflicht ist nicht ersichtlich. Insbesondere war diese nicht gehalten, die Kläger über die Risiken der beabsichtigten Darlehensverwendung zu informieren.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine finanzierende Bank nicht verpflichtet, einen Darlehensnehmer über die Gefahren und Risiken der Verwendung eines Darlehens aufzuklären und vor dem Vertragsschluss zu warnen (BGH NJW 2000, 3558; BGH NJW-RR 2000, 1576 - beide mit weiteren Nachweisen). Die Verwendung des Kredits ist allein Sache des Kreditnehmers. Ihm allein obliegt es, sich über die damit verbundenen speziellen Gefahren zu informieren und die Entscheidung darüber, ob er sie eingehen will, eigenverantwortlich zu treffen. Das mit der Verwendung des Darlehens verbundene Risiko hat der Darlehensnehmer grundsätzlich allein zu tragen. Bei finanzierten Kapitalanlagen darf die darlehensgebende Bank deshalb regelmäßig davon ausgehen, dass der Kreditnehmer Konzeption und Wirtschaftlichkeit der geplanten Anlage hinreichend geprüft hat, gegebenenfalls unter Einschaltung besonderer Fachberater. Dies gilt auch und in besonderem Maß bei geschäftsunerfahrenen Kunden (OLG Stuttgart WM 2000, 292).

Nur ausnahmsweise und in besonderen Fallgruppen kommt eine Aufklärungs- und Beratungspflicht der Bank in Betracht. Ein solcher Fall ist vorliegend indes nicht gegeben. So war die Rechtsvorgängerin der Beklagten nicht deshalb verpflichtet, auf die mit der Beteiligung verbundenen Gefahren besonders hinzuweisen, weil sie den Klägern gegenüber erkennbar einen Wissensvorsprung gehabt hätte.

Soweit die Kläger davon ausgehen, dieser Wissensvorsprung resultiere aus der Finanzierung auch des Bauträgers und dem Wissen um die vorgängige Bauträgergrundschuld, kann dem nicht gefolgt werden. Über die Belastungen des Grundstücks und die Bedeutung von Grundpfandrechten wurden die Kläger bei Abschluss des notariellen Kaufvertrags belehrt. Eine Pflicht der Bank, sich vor Auszahlung der Darlehenssumme nach der Zahlung des Kaufpreises zu erkundigen und sich aktiv um die Freigabe der Bauträgergrundschuld zu bemühen, bestand nicht. Es oblag vielmehr den Klägern, sich um die Voraussetzungen einer solchen Freigabe zu kümmern.

Anhaltspunkte für eine der drei anderen Fallgruppen, in denen die Rechtsprechung ausnahmsweise eine Hinweispflicht der Bank angenommen hat (Überschreiten der Rolle als Kreditgeberin, Interessenkonflikt der Bank oder Schaffung einer besonderen Gefahrenlage durch diese), sind weder substantiiert vorgetragen noch ersichtlich.

Eine Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des EuGH über die Vorlage des LG Bochum ist nicht angezeigt (BGH BKR 2003, 898).

Die Kläger erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen. Sie werden darauf hingewiesen, dass bei Rücknahme der Berufung allein Gerichtsgebühren in Höhe von 2.568,- € (Nr. 1221 KV) erspart werden können.

Ende der Entscheidung

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